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Onkologisches Zentrum Westpfalz e.V.


Pfälzer Tage für Hämatologie und Onkologie 1999


Diagnostik und Konsequenzen bei genetisch bedingter Disposition zu Krebserkrankungen des Kolons und der Mamma  
Matthias Jungck, Medizinische Klinik und Poliklinik I, Bonn



Bei einer kleinen Zahl der Krebserkrankungen ist eine über die Keimbahn geerbte Disposition für die Erkrankung verantwortlich. Diese erblichen Tumordispositionserkrankungen folgen einem autosomal-dominanten Erbgang mit einem 50%igen Risiko für die Nachkommen, die Disposition ebenfalls geerbt zu haben. Die Identifizierung der molekulargenetischen Grundlagen für eine Vielzahl dieser erblichen Tumordispositionserkrankungen macht es heute möglich, einerseits die Erblichkeit der Erkrankung zu beweisen und andererseits– viel wichtiger – in Familienuntersuchungen die Personen zu identifizieren, die diese Disposition ebenfalls geerbt haben, also Anlageträger sind. Die Möglichkeiten der Diagnostik und die sich daraus ergebenden Konsequenzen sollen am Beispiel des erblichen Kolonkarzinoms ohne Polyposis und des familiären Mamma- und Ovarialkarzinoms dargestellt werden. 
Das erbliche Kolonkarzinom ohne Polyposis (hereditary non-polyposis colorectal cancer, HNPCC, Lynch-Syndrom) wird für ca. 5% aller CRCs verantwortlich gemacht. Es hat keinen eindeutigen Phänotyp, der dieses Krankheitsbild von einem nicht-erblichen Kolonkarzinom abgrenzen könnte. Für ein HNPCC sprechen: junges Erkrankungsalter des Patienten, rechtsseitige Lokalisation des Tumors, syn- und/oder metachrone Tumoren, undifferenzierter Tumor mit starkem lymphozellulären Infiltrat, positive Familienanamnese (Kriterien s.u.). Weitere Tumoren, die beim HNPCC auftreten, sind v.a. Tumoren des Endometriums, des Dünndarms und des Urothels. Molekulargenetisch sind diese Tumoren durch eine ausgeprägte genomische Instabilität (Mikrosatelliten-Instabilität, MSI) gekennzeichnet, was auf einen Fehler in der DNA-Reparatur des Gewebes hinweist. Dieser wird durch Keimbahnmutationen in einem von fünf DNA-Mismatch-Reparatur-Genen verursacht (hMSH2, hMLH1, hPMS2, hPMS2, hMSH6/GTBP). Patienten, bei denen aufgrund klinischer Kriterien bzw. aufgrund einer nachgewiesenen MSI im Tumor ein starker Hinweis auf ein HNPCC vorliegt, sollten auf Keimbahnmutationen in den Genen hMSH2 und hMLH1 untersucht werden. Erst wenn bei einem Indexpatient die Identifizierung der Keimbahnmutation gelungen ist, kann in Familienuntersuchungen herausgefunden werden, wer der erstgradig Verwandten ebenfalls eine Tumordisposition geerbt hat und daher in ein engmaschiges Vorsorgeprogramm aufgenommen werden sollte (s.u.). Da bei HNPCC-Patienten auch das Risiko für Zweittumoren stark erhöht ist, werden therapeutische Konsequenzen, wie z.B. die subtotale Kolektome als Primärtherapie des CRCs oder prophylaktische Operationen, intensiv diskutiert. Das CRC-Risiko für Anlageträger beträgt ca. 80% bis zum 80. Lebensjahr, das Endometrium-Karzinom-Risiko wird mit 40-60% angegeben. 
Für ein familiäres Mamma- und Ovarialkarzinom sprechen junges Erkrankungsalter, syn- und/oder metachrone Tumoren und eine positive Familienanamnese. 5-10% aller Mamma-Karzinom-Erkrankungen scheinen erblich zu sein. Es sind bisher zwei ursächliche Gene bekannt (BRCA1 und BRCA2, BRCA=breast cancer), die zusammen jedoch nur für ca. 50% der Erkrankungen verantwortlich sind. Beide Gene codieren für Proteine, die an der Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen beteiligt sind. Patientinnen, die die klinischen Kriterien erfüllen (s.u.), sollten auf Keimbahnmutationen untersucht werden. Auch hier gilt, daß erst nach Nachweis einer Mutation beim Indexpatienten eine Familienuntersuchung angeboten werden kann. Das Risiko einer Brustkrebs-Patientin mit einer BRCA-Mutation, ein Karzinom der kontralateralen Brust zu bekommen, beträgt ca. 60%. Anlageträgerinnen haben ein Risiko von ca. 85% für ein Mamma-Karzinom und ein Risiko zwischen 30 und 65% für ein Ovarialkarzinom. Daher sollten intensive Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden (s.u.). Aufgrund des Zweitkarzinom-Risikos wird bei dieser Erkrankung z.B. die prophylaktische Oophorektomie diskutiert. 
Die molekulargenetischen Untersuchungen sind bei beiden Erkrankungen aufwendig und langwierig. Den Patienten sollte vor Einleitung der Diagnostik eine eingehende klinische humangenetische Beratung angeboten werden, die präsyptomatische, prädiktive Diagnostik bei nicht-erkrankten Familienmitgliedern ist an die Durchführung einer klinischen und humangenetischen Beratung gebunden. Die Deutsche Krebshilfe unterstützt im Rahmen von Schwerpunktprogrammmen sechs HNPCC-Zentren und 10 Zentren für das familiäre Mamma- und Ovarialkarzinom. Diese sollten bei Verdachtsfällen kontaktiert werden, um das weitere Vorgehen abzusprechen. Bei V.a. eine erbliche Tumordispositionserkrankung kann man sich aber auch an jedes Institut für Humangenetik wenden. 

Kriterien für einen Verdacht auf HNPCC 
Amsterdam-Kriterien (International collaborative group for HNPCC (ICG-HNPCC)) 
alle Kriterien müssen erfüllt sein 

Ziel: Einheitliche Aufnahmekriterien für wissenschaftliche Untersuchungen (v.a. Genkartierung) 
Drei Betroffene mit kolorektalem Karzinom in 
zwei aufeinanderfolgenden Generationen 
einer mit den beiden anderen erstgradig verwandt 
einer vor dem 50. Lebensjahr erkrankt 
FAP ausgeschlossen 
Erweiterte Amsterdam-Kriterien (ICG-HNPCC) 

Ziel: Berücksichtigung der extrakolonischen Manifestationen 
wie Amsterdam-Kriterien, aber Berücksichtigung von extrakolonischen Tumoren: 
Übergangsepithel-Karzinom des Nierenbeckens oder des Ureters 
Endometriumkarzinom bei Frauen 
Dünndarmkarzinom 
Bethesda-Kriterien (National Cancer Institute, USA) 
ein Kriterium muß erfüllt sein 

Ziel: Selektionierung von Tumoren, die auf Mikrosatelliteninstabilität untersucht werden sollten 
Tumoren von 
Patienten, deren Familie die Amsterdam-Kriterien erfüllen 
Patienten mit zwei Tumoren aus dem HNPCC-Spektrum (auch synchrone und metachrone Tumoren des gleichen Organs) 
Patienten mit CRC und einem erstgradig Verwandten mit einem Tumor aus dem HNPCC-Spektrum oder einem kolorektalen Adenom. Das Karzinom muß vor dem 45., das Adenom vor dem 40. Lebensjahr diagnostiziert worden sein. 
Patienten mit CRC oder Endometriumkarzinom vor dem 45. Lebensjahr 
Patienten mit undifferenziertem CRC des rechtsseitigen Colons vor dem 45. Lebensjahr 
Patienten mit siegelringzelligem CRC vor dem 45 Lebensjahr 
Patienten mit kolorektalen Adenomen vor dem 40. Lebensjahr 

Vorsorgeempfehlungen für HNPCC-Risikopersonen (ICG-HNPCC) 
(Nachsorge bei Betroffenen sollte sich an diesen Empfehlungen orientieren) 
Ab dem 20. Lebensjahr: 
jährlich körperliche Untersuchung incl. Hämoccult-Test und Ultraschall Abdomen 
alle 1-2 Jahre hohe Koloskopie 
Ab dem 30. Lebensjahr zusätzlich: 
jährlich Urinzytologie 
bei Frauen jährlich gynäkologische Untersuchung incl. Gebärmutterabstrich und transvaginalem Ultraschall 

Familiäres Mamma- und Ovarialkarzinom: Definition der Risikofamilien (Deutsche Krebshilfe) 
2 Erkrankte an Mamma- oder Ovarial-Ca., davon 1 vor dem 50. LJ 
1 Erkrankte an bilateralem Mamma-Ca. oder Mamma- und Ovarial-Ca. 
Eine Erkrankte an Mamma-Ca. vor dem 35. LJ 
Eine Erkrankte an Ovarial-Ca. vor dem 40. LJ 
1 männlicher Erkrankter mit Mamma-Ca. 

Vorsorgeempfehlungen für Betroffene und Risikopersonen bei familiärem Mamma- und Ovarialkarzinom (Deutsche Krebshilfe) 
wöchentliche Selbstuntersuchung nach ärztlicher Einweisung 
ärztliche Untersuchung alle 3 Monate 
apparative Untersuchungen alle 6 Monate 
Ultraschall der Mammae 
Ultraschall der Ovarien 
CA 12-5 
apparative Untersuchungen alle 12 Monate (Angaben für Bonn, das Vorgehen kann von Zentrum zu Zentrum etwas unterschiedlich sein) 
Frauen ( 50J.: Kernspintomographie Mammae 
Frauen > 50J.: Mammographie 

Ausgewählte Literatur 
Ford D, Easton DF, Stratton M et al. (1998) Genetic heterogeneity and penetrance analysis of the BRCA1 and BRCA2 genes in breast cancer families. The Breast Cancer Linkage Consortium. Am J Hum Genet 62:676-689 
Holinski-Feder E, Brandau O, Nestle-Krämling C et al. (1998) Genetik des erblichen Mammakarzinoms: Grundlagen – Forschung – Diagnostik. Deutsches Ärzteblatt 95: A600-605 
Jungck M, Friedl W und Propping P (1999) Erblich bedingte gastrointestinale Tumorerkrankungen. Internist 40:502-512 
Papadopoulos N und Lindblom A (1997) Molecular basis of HNPCC: Mutations of MMR genes. Human Mutation 10:89-99 
Vasen HF, Wijnen JT, Menko FH et al. (1996) Cancer risk in families with hereditary nonpolyposis colorectal cancer diagnosed by mutation analysis. Gastroenterology 110:1020-1027 

Nützliche WWW-Adressen 

OMIM (online Mendelian Inheritance in Man, ständig aktualisierte Datenbank über monogen-erbliche Erkrankungen)

Homepage der „International Collaborative Group on HNPCC (ICG-HNPCC)„ (Mutationsdatenbank hMSH2 und hMLH1, Vorsorgeempfehlungen)

BRCA-Seite am NIH

Deutsche Krebshilfe

Human Mutation Database Cardiff 

Matthias Jungck
Medizinische Klinik und Poliklinik I (Direktor Prof. Dr. T. Sauerbruch) 
Universität Bonn 
Sigmund-Freud-Straße 25 
53105 Bonn 
 


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Letzte Änderung: 23.06.2000