Neue Aspekte zur Chemotherapie kolorektaler
Karzinome
Carsten Bokemeyer, Abteilung Innere Medizin II, Universität
Tübingen
Seit mehr als 40 Jahren ist 5-Fluorouracil (5-FU) die entscheidende
zytostatische Substanz in der Behandlung metastasierter kolorektaler Karzinome
gewesen. Therapeutisches Target von 5-FU ist die Thymidilatsynthase, ein
Enzym im Nukleotid-Stoffwechsel. Eine Chemotherapie mit 5-FU erzielt beim
metastasierten kolorektalen Karzinom Ansprechraten von 10 - 15 % mit einer
mittleren Überlebensdauer von 11 Monaten. Erst Anfang der 90er Jahre
wurde in randomisierten Studien nachgewiesen, dass eine palliative Chemotherapie
im metastasierten Stadium im Vergleich zu alleiniger supportiver Behandlung
eine signifikante Überlebensverlängerung und eine Verbesserung
der Lebensqualität durch Reduktion tumorbedingter Symptome erbringt.
Zwei Ansätze wurden verfolgt, um die Aktivität von 5-Fluorouracil
zu steigern:
1. Zugabe des Biomodulators Folinsäure, die den Komplex aus Thymidilatsynthase
und 5-FU stabilisiert und dadurch die Wirksamkeit von 5-FU erhöht
sowie
2. Die Applikation von 5-FU + Folinsäure als prolongierte Infusion.
Bereits 1995 konnten DeGramont et al. nachweisen, dass eine 5-FU-Dauerinfusionstherapie
über 48 Stunden einer Bolusgabe nach dem klassischen Mayo-Regime (Bolus
5-FU 425 mg/m5 Tag 1 - 5, Folinsäure 20 mg/m5 Tag 1 - 5) hinsichtlich
Remissionsrate und Zeit bis zur Progression überlegen ist. Eine randomisierte
Studie der EORTC, die vor kurzem hinsichtlich der Rekrutierung geschlossen
wurde, hat eine 24 Std.-Infusion von 5-Fluorouracil " Folinsäure nach
dem sog. AIO-Schema gegenüber dem Mayo-Regime mit Bolusgabe von 5-FU
verglichen. Hierbei zeigte sich ein sehr günstiges Toxizitätsprofil
der 24 Std.-Dauerinfusion. Die Ergebnisse bezüglich des Überlebens
liegen noch nicht vor.
In den letzten Jahren sind weitere Substanzen zur Therapie des
kolorektalen Karzinoms verfügbar geworden. Irinotecan, ein Hemmstoff
der Topoisomerase 1, konnte bei Patienten nach 5-FU-Vorbehandlung noch
Remissionen und Krankheitsstabilisierung in 20 bzw. 40 % erzielen. Bei
Patienten mit Rezidiv nach 5-FU-Therapie konnte Irinotecan in einer randomisierten
Studie gegen Abest supportive care@ einen signifikanten Überlebensvorteil
von im Mittel 3 Monaten und eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität
gegenüber den Kontrollpatienten erreichen. Ebenfalls positiv zeigte
sich auch der Vergleich gegenüber einer kontinuierlichen 5-FU-Infusion
als Second-line-Therapie bei vorbehandelten Patienten. Neueste Studien
zeigen, dass Irinotecan mit dem 24 Std.-Schema von 5-FU kombinierbar ist
und Remissionsraten bis 50 % erreicht werden. Ob die Kombination von Irinotecan
+ 5-FU einen Vorteil gegenüber der alleinigen Gabe von 5-FU darstellt,
wird in der aktuellen EORTC/AIO-Studie überprüft. Als zweite
neue Substanz wurde Oxaliplatin, ein Platinderivat der 3. Generation, in
die Therapie der kolorektalen Karzinome angeführt. Während das
Monotherapeutikum nur Ansprechraten von 10 % erzielen kann, so ist die
Kombination von 5-FU + Oxaliplatin bei 5-FU-vorbehandelten Patienten in
20 - 40 % wirksam. Auch in der Primärtherapie lässt sich durch
die Kombination 5-FU/Oxaliplatin gegenüber 5-FU alleine eine signifikante
Verbesserung der Remissionsrate erzielen.
Während noch vor 10 - 15 Jahren für unbehandelte Patienten
mit metastasiertem kolorektalen Karzinom die mittlere Überlebenszeit
bei 6 - 8 Monaten lag, so ist sie durch die Einführung der 5-FU-Therapie
auf 11 Monate gestiegen und erreicht in Studien mit Einsatz neuer Zytostatika
nach 5-FU-Vortherapie oder in Kombination mit 5-FU Überlebenszeiten
bis zu 18 Monaten. Studien müssen die Frage klären, ob die Kombination
neuer Substanzen mit 5-FU in der First-line-Therapie einen Vorteil hinsichtlich
Lebensqualität und Überlebenszeit bietet im Vergleich zum sequentiellen
Einsatz der gegenwärtig verfügbaren Therapeutika. Gleichzeitig
sind erste Studien gestartet, die die Aktivität von 5-FU in Kombination
mit neuen Substanzen in der adjuvanten Situation (Dukes C) des resezierten
kolorektalen Karzinoms überprüfen. Es besteht berechtigte Hoffnung,
dass die nächsten Jahre weitere Fortschritte in der chemotherapeutischen
Behandlung kolorektaler Karzinome erbringen werden.
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Internetadressen:
Daten
zum Kolonkarzinom
Adjuvante Therapie des Kolonkarzinoms
am Beispiel der Paneuropean Trial on Adjuvant Colon Cancer
Medicine Online - Colon
Cancer
PD Dr. med. Carsten Bokemeyer,
Abteilung Innere Medizin II, Hämatologie/Onkologie/ Immunologie/Rheumatologie,
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Otfried-Müller-Str. 10
72076 Tübingen
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